Schulgruppe Akademie Autismus Enno Eirich

Tipps für eine autismusfreundliche Umgebung beim Lernen

Viele Kinder im Autismusspektrum verarbeiten alltägliche sensorische Reize anders als nicht-autistische Kinder. Geräusche, Licht, Gerüche oder haptische Eindrücke können sehr viel intensiver und ungefiltert wahrgenommen werden. Diese Überstimulation der Sinne kann schnell überfordern, das Lernen erschweren und im schlimmsten Fall zum völligen Überladen der Eindrücke führen und damit handlungsunfähig machen. Es ist daher wichtig eine autismusfreundliche Lernumgebung zu schaffen, welche ablenkende und störende Reize minimiert und die es den Kindern ermöglicht sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Ich möchte dir hier ein paar Tipps und Denkanstöße mit auf den Weg geben, die sowohl in der Schule, als auch zu Hause beim Lernen helfen. Schon kleine Veränderungen können hier einen spürbaren Unterschied machen.


Sebastian sitzt plötzlich unter dem Tisch

Sebastian* hat spät seine Diagnose bekommen und ich lernte ihn erst in der Weiterführenden Schule kennen. Er ist ein aufgewecktes und intelligenter Junge mit einem wahnsinnig großem Wissen über Sterne und Planeten. Er hat den Schulwechsel gut überstanden und ist gut in das Schuljahr gestartet. Im Oktober erhielt ich dann einen Anruf von seiner Klassenlehrerin, die mir erzählte, dass Sebastian seit kurzem immer wieder unter dem Tisch sitzt und sich oft weigert, mitzuarbeiten. Mit ihm selbst konnte sie noch nicht wirklich reden und der Verdacht fiel auch erstmal auf mögliche Streitigkeiten in der Pause. Letztendlich stellte sich jedoch heraus, dass nicht diese für das Verhalten verantwortlich waren, sondern die Heizkörper. Ja, die Heizkörper. Im Oktober wurde die Heizung angeschaltet und nachdem die Schule schon etwas in die Jahre gekommen war und diese noch nicht gewartet wurden, rauschte und gluckerte das Wasser sehr laut in diesen vor sich hin. Sebastian, der direkt an den Heizkörpern saß, nahm diese Geräusche als sehr laut und extrem unangenehm wahr. Er war also an einem Ort, der sensorisch fast schmerzhaft für ihn ist, und – nachdem man als Schüler ja nicht einfach das Klassenzimmer verlassen darf – somit war für ihn der nächste sichere Platz mit zugehaltenen Ohren unter dem Tisch.

Ein Platzwechsel und eine ordentlich entlüftete Heizung später, war es für Sebastian dann um einiges leichter, sich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren und wieder mitzuarbeiten. Für die Momente, bei denen dies nicht ausreichte, hatte er zusätzlich noch einen Gehörschutz. Eine kleine Veränderung mit großem Gewinn für Sebastian.

Es ist bemerkenswert, dass zwei bis drei Millionen Nervenstränge in unser Gehirn führen, wobei jede davon bis zu 300 Signale pro Sekunde senden kann. Daher wird unser Gehirn jede Sekunde von Millionen von Stimuli bombardiert, von denen wir nur einen kleinen Teil bewusst wahrnehmen.

Unser Gehirn ist damit beschäftigt, die empfangenen sensorischen Daten zu verarbeiten. Dieser Prozess findet automatisch statt, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das Gehirn ist ständig damit befasst, unwichtige Stimuli auszusortieren und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Daraufhin reagieren wir mit Gedanken, Emotionen und Handlungen.

Selbst geringfügige Abweichungen in der Verarbeitung der Wahrnehmung können dazu führen, dass unser Gehirn mit Stimuli überschwemmt wird oder Schwierigkeiten hat, sie angemessen zu sortieren oder zu interpretieren. Alternativ könnte das Gehirn auch zu viele Stimuli verwerfen, ohne sie weiter zu bearbeiten.

Es ist wichtig zu erkennen, dass diese Besonderheiten in der Verarbeitung der Wahrnehmung nicht durch sensorische Beeinträchtigungen verursacht werden. Unsere Augen, Ohren usw. funktionieren normal – es ist das Gehirn, das die Stimuli auf eine andere Weise verarbeitet.

Tipps für den Alltag zu Hause und in der Schule:

Ich möchte dir im folgenden ein paar Tipps mit auf den Weg geben, die deinem Kind zu Hause oder deiner/deinem Schüler:in in der Schule helfen können, Reize zu reduzieren.

Hören:

  • Schaffe eine möglichst ruhigen Arbeitsplatz, frei von Außengeräuschen. Dies kann Straßenlärm in der Schule oder zu Hause das Schleudern der Waschmaschine, der laute Mixer oder die Musik im Zimmer der Geschwisterkinder sein.
  • Bereite dein Kind auf kommende laute Geräusche oder Situationen vor. Hier kann ein Plan helfen.
  • Gib deinem Kind die Möglichkeit, sich an einen ruhigen Ort zurückziehen zu können. Dies kann die leere Nebenklasse, ein Gruppenraum oder ein anderes Zimmer zu Hause sein. Wenn dies nicht möglich ist, stelle einen Gehörschutz zur Verfügung.

Sehen:

  • In der Klasse und zu Hause kann ein übermäßig dekorierter Arbeitsplatz störend sein. Dieser sollte klar und übersichtlich sein. Benutze gegebenenfalls einen Raumteiler, um den Arbeitsbereich zu begrenzen oder abzuschirmen.
  • Grelles, flackerndes oder blinkende Lichter sollten vermieden werden. Diese sind meist mehr Ablenkung, als hübsche Dekoration.
  • Zu Hause sollten Ablenkungen aus dem Sichtfeld geräumt werden und der Arbeitsbereich klar definiert und aufgeräumt sein. Wenn nötig, markiere was gerade wesentlich ist und entferne Unwesentliches.

Haptik:

  • Vermeide unangekündigte oder plötzliche Berührungen. Kläre, wie und wo eine Berührung in Ordnung ist.
  • Kläre andere darüber auf, wenn ein Kind im Spektrum Berührungen als unangenehm oder sogar schmerzhaft wahrnimmt.
  • Akzeptiere es, wenn ein Kind im Spektrum bestimmte haptische Reize als unangenehm empfindet.

Geruch:

  • Vermeide starke Gerüche, wie etwa übermäßiges Parfümieren oder das Verwenden von Duftölen. Angenehme Gerüche können für manche autistische Menschen extrem unangenehm sein.
  • Bespreche mit deinem Kind, ob es Gerüche gibt, die als störend oder unangenehm wahrgenommen werden.

Geschmack:

  • Dieser Punkt spielt in Bezug auf das Lernen zu Hause und in der Schule eine sehr untergeordnete Rolle. Solange die Ernährung gesundheitlich unbedenklich und einigermaßen praktikabel ist, ist hier alles erlaubt.

Diese Liste trifft nicht auf alle Kinder im Spektrum zu, sondern ist lediglich ein kleiner Ausschnitt, was im Lernalltag eine Rolle spielen kann. Wenn du mehr über die autistische Wahrnehmung erfahren möchtest, lade ich dich herzlich zu meinem Newsletter ein, bei dem ich in regelmäßigen Abständen über Autismus und Schule berichte und Tipps für den Alltag zu Hause und in der Schule gebe.

Fazit:

Kinder mit Autismus brauchen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung, damit sie ihre volle, potenzielle Kapazität entfalten können. Eine reizarme Umgebung in der Schule und zu Hause ist der erste Schritt, um ihnen zu helfen. Mit etwas Geduld und dem Willen, auf diese andere Wahrnehmung einzugehen, kann man sowohl autistischen Kindern helfen, zu lernen, als auch seine eigene Sicht auf die Welt erweitern.

*Aus Gründen des Datenschutzes und zur Wahrung der Privatsphäre wurde der Name der betroffenen Person geändert.

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